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 Kurzgeschichte: Die Lektion

 Kurze Geschichten - Eine kleine Sammlung

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Die Lektion
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Ich erinnere diesen Tag, weil er mir einen grausamen Muskelkater an sehr ungewöhnlichen Stellen bescherte. Und ich weiß noch, dass dieser Tag ganz früh morgens begann.

Schon kurz nach dem Erwachen verließ ich an diesem besagten Tag das Haus, um in die Stadt zu gehen. Dies war eigentlich gegen meine Natur, der ich Aktivitäten sonst eher bedächtig begegne und außerdem für mein Leben gerne ausgiebig frühstücke.

Hier aber lag an diesem Morgen das Problem. Brotkasten und Kühlschrank hatten mir nichts Genießbares mehr anzubieten.

Der schöne Morgen in den ich trat, spendete sofort Trost als meine Nase schnuppernd die noch nachtfrische Luft eines strahlend beginnenden Tages einsog. Die aufsteigenden Sonne wusch die Häuser von den Schatten frei, die sie nun lang hinter sich warfen. Was ich sah, roch und schmeckte, mischte in mir eine hervorragende Laune zusammen. So spazierte ich auf der langen und geraden Straße, die zur Stadt führte, ein schönes Frühstück im Sinn.

In einiger Entfernung trotteten vor mir, auch in Richtung Stadt, zwei ältere Damen. Mit beschwingtem Schritt näherte ich mich schnell an und war ihnen bald so nah, dass mir ihr süßliches Parfüm in die Nase kroch.

Die Alten trugen elegante Sommerjacken in modischen Pastellfarben. Ihre Haare türmten sich über ihren Köpfen auf, bei der einen in gefärbt rot und der anderen in echt grau.

Die Art, wie sie sich nach vorne schleppten stand für mich im Gegensatz zu ihrer modischen Erscheinung. Es schien, als hätten sie weitaus mehr zu tragen, als ihr Körpergewicht.

Noch immer blieb ich von den beiden unentdeckt und von einem spontanem Interesse entzündet, passte ich meinen Gang dem ihren an bis ich so weit aufgerückt war, um ihrem unablässigen Gespräch lauschen zu können.

Meine Neugier war ganz unschuldiger Art, eigentlich ein hinzugesellen aus guter Laune

heraus, im Glauben auf eine ähnliche Stimmung wie die meine zu treffen. Was ich aber hörte widerlegte meine Erwartungen.

„Der Wetterbericht hat einen noch wärmeren Tag als gestern angekündigt.“

„Wirklich? Noch heißer als gestern. Wie soll man das nur aushalten? Mein Kreislauf spielte schon gestern verrückt“

„Ja, mir war auch den ganzen Tag schwindelig. Mittags konnte ich kaum noch atmen, so stickig war es.“

„Heute soll auch noch Wind dazukommen. Drinnen hält´s Du es dann kaum aus vor Hitze und draußen macht Dir der Wind die Glieder steif.“

Überrascht lauschte ich diesen Ansichten über das gleiche Wetter, das ja auch ich erlebte. 

Als ich so zuhörte, wuchs in mir ein kleiner Ärger darüber, sich diesen schönen Tag aus eigenem Willen mit so schlechten Ansichten zu vergällen.

So ins Klagen vertieft, dass sie mich noch immer nicht bemerkten, versuchten sich die alten Damen sogar eifrig in ihrem Leid, welches sie zu erleben hatten, zu übertrumpfen.

In meiner grundsätzlichen Heiterkeit rang Empörung mit dem Mitgefühl und gleichzeitig steigerte sich eine Ungeduld etwas zu unternehmen, damit die Beiden sich nicht noch mehr in ihr Unglück reden sollten.

Die Sonne saß mir wie ein Schalk im Nacken und ohne groß zu überlegen schlüpfte ich mit dem rechten Arm aus dem Ärmel, stopfte diesen  plattgeworden in die Hosentasche und übte mich kurzerhand leicht vornüber gebeugt im Kurzbeinhumpeln mit spastischer Verdrehung – noch immer zwei, drei Schritte hinter den Damen, die sich gerade über kranke Nieren ausließen.

Als mir der etwas komplizierte Gang in seiner besonderen Regelmäßigkeit gut gelang, setzte ich zum Überholen an. Mit dem glücklichsten Gesicht, zu dem ich überhaupt fähig bin, warf ich beiden im Vorbeiziehen einen strahlenden Gruß entgegen, nicht ohne noch zu erwähnen, was doch heute für ein herrlicher Tag sei. Ich weitete es  bei dieser Gelegenheit sogar noch auf ein wunderschönes Leben aus und war flugs, da nicht ungeübt, vorbei.

In meinem Rücken spürte ich nun das Mitleid von sich auf mich umgeleitet.

„Ein so junger Mensch....“, drang noch in mein Ohr.

„Ach, so tapfer...“

Ich hörte, wie ihre Stimmen einen ganz anderen Tonfall angenommen hatten. Dadurch vollends zufrieden mit mir und der Situation, nahm ich die Welt aus meiner neuen Perspektive wahr, die ich ja um alles in der Welt beibehalten musste, um nicht alles wieder zu gefährden oder sogar ins Schlimmere zu verkehren.

Die Zufriedenheit mit mir selbst hielt etwas länger an als die Zufriedenheit mit meiner Situation.

Durch die Simulation eines verkürzten linken Beines bei gleichzeitiger Vortäuschung einer   Auskugelung des rechten Kniegelenkes schien sich mir die Wade wie ein Ballon anzuschwellen und mir wurde immer klarer: Die Auskugelung des Knies werde ich nicht mehr lange vortäuschen müssen.

Obendrein spürte ich zum ersten Male in meinem Leben durch die permanente Schrägstellung der Hüfte: Auch dort gibt es Gelenke, die schmerzen können.

Weiter dieses – verhältnismäßig – hohe Tempo haltend, sensibilisierte ich mich für meine Haltung immer mehr. So spürte ich Schritt für Schritt deutlicher, wie der kleine Schub, der in den  Beinen ausgelöst wurde, sich nach oben hin fortsetzte, sich als Pendelbewegung im Oberkörper manifestierte und von dort rhythmisch den Kopf nach vorne stieß.

Das daraus resultierende Gefühl, eine Hand hätte meinen Nacken ergriffen und drücke erbarmungslos zu, verdrängte den Schmerz in der Hüfte, konnte sich aber mit der zu Stein werdenden Wade noch nicht messen.

Wie bin ich nur bloß wieder auf diese dämliche Idee gekommen. Eben war noch alles in bester Ordnung und nur so eine klitzekleine, spontane Entscheidung, und alles ist aus dem Lot. Es gibt gar keine kleinen Entscheidungen. Jede Entscheidung stellt sich in ganzer Größe gegen die andere Möglichkeit, und wie gerne hätte ich diese jetzt. Oh, Hilfe.

Mein Gehirn suchte schreiend nach einem Ausweg.

Meine Heiterkeit war in ernster Gefahr endgültig verloren zu gehen. Nein, war eigentlich nicht mehr zu retten.

Noch immer war die Straße lang und gerade und sah so gar nicht nach einem Ausweg aus. Ich spürte, wie sich inzwischen auch meine Mimik an meine schiefe Haltung anpasste und sich darin ein Muskel zuckend selbständig machte.

Nirgends zeigt sich eine Lücke zwischen den Gebäuden oder zumindest eine offene Tür.

Nur das Emblem der freien Tankstelle ragte in unerträglicher Ferne empor.

Wie viele Meter mögen es noch sein? Bestimmt fünfhundert – das heißt: noch etwa vierhundert Mal mit dem ganzen Körpergewicht in den vertieften linken Schritt und noch weitere vierhundert Male die Ausdrehung des rechten Knies zu ertragen. Ebenso oft kommt das Vorwärtsschleudern des Kopfes auf mich zu. Kann ich das überstehen?

Immer neue Schmerzen kommen aus den unterschiedlichsten Körperregionen.

Bewege ich mich überhaupt an das Emblem heran?

Noch immer steht es unnahbar in der gleißenden Sonne.

Ist es möglich, dass ich dies alles nur träume?

Verrückt genug wäre es, aber der Schmerz wirkt äußerst real. Und so oder so, ich wache nicht auf.

Doch ich glaube, jetzt bin ich etwas näher gekommen. Von hier ist der Name des Inhabers auf dem Schild zu lesen. Das war vorhin noch nicht möglich.

Wie viele Schritte jetzt noch?

Lange halte ich es nicht mehr aus. Meine Zähne knirschen bedenklich aufeinander.

Schritt um Schritt kämpfe ich mich vorwärts.

Ich werde es schaffen. Die Tankstelle ist greifbar nah.

Sie duckt sich in die lange Reihe der Bürogebäude hinein, die ich die ganze Zeit passierte.

Bei der ersten Gelegenheit schnitt ich die Kurve auf das alte Gebäude zu und streckte mich erleichtert. Meine Wirbelsäule dankte es mir mit einem beängstigendem Knacken. Schnell war der Arm wieder einsatzbereit und einige Testmimiken lockerten auch die verspannten Gesichtsmuskeln. Das Humpeln hingegen war nicht mehr so schnell abzustellen, aber schon die gewohnte Haltung war eine Gnade. So holperte ich an den beiden Zapfsäulen vorbei, an  dessen Kanten sich der Rost fraß. Sie standen auf einem mit Öltropfen übersäten Betonsockel, dessen ovaler Verlauf an der Stirnseite aufgebrochen war. Der Geruch vom alten Diesel stand dumpf in der Luft. Dahinter spiegelte die breite Glasfront des rissigen Betonbungalows die noch niedrig stehende Sonne auf die am Rande stehenden Autos, die zum Verkauf feilgeboten wurden. Überall an der Fassade sah ich den grauen Putz durch das ehemalige Weiß schimmern.

Als ich die Glastür aufstieß, schlugen mir die Ausdünstungen von frischem Gummi entgegen, eingebettet im bitteren kalten Rauch, der langjährig diesen Raum gerbte. Es öffnete sich mir ein kleiner Verkaufsraum. An der gegenüberliegenden Wand standen dichtgedrängt Borde mit allerlei Ölen und Flüssigkeiten, die der Fahrzeugpflege dienten. Links daneben in der Ecke stapelten sich übermannshoch Reifen. Oben auf der schwarzglänzenden Säule thronte schon erbleicht das Michelinmänchen.

Ein kleines Bord mit Alkoholika lehnte neben einer, mit einer halbnackten Frau beklebten, Tür an der anderen Wand.  Meinen Kopf nach rechts wendend, erblickte ich hinter einer mit Süßigkeiten bestückten Theke, einen unrasierten Mann mit schattigen Augen. Sein Haar glänzte ölig, als hätte er eine Reihe der Flüssigkeiten des Raumes daran probiert.

Ich warf ihm einen Morgengruß zu, den er nur grunzend erwiderte. Schon Böses ahnend, huschten meine Augen in dem Raum hin und her, etwas Interessantes suchend, was mir ein wenig Zeit und somit Rettung schenken konnte.

Vom argwöhnischen Blick des Tankwartes begleitet ging ich in meiner Not zum gegenüberliegenden Regal, griff wahllos eine Flaschen heraus. Ich las die Gebrauchsanweisung und Inhaltsstoffe von Ölen und Frostschutzmitteln bis ich rauh unterbrochen wurde.

„ Kann ich ihnen helfen?“, hörte ich eine Stimmlage, die nicht wollte, was sie vorschlug.

„Nein, nein“, erwiderte ich, „ich komme schon zurecht.“

Ein Fläschchen Bremsflüssigkeit erforschend, beobachtete ich mit einem Auge beständig die Straße, aber die alten Damen tauchten nicht auf.

Ich spürte, wie mir der Blick des Tankwarts ein Loch in meinen Hinterkopf brannte, und mir stieg das Unwohlsein bis zum Hals. Fahrig stieß ich eine Flasche mit etwas zuviel Schwung an eine andere. Sie trudelte bedenklich und mit einem schnellen Griff schaffte ich, was ich verhindern wollte: Ich streifte eine Reihe Türschlossenteiser, die in der gereizten Stille übermäßig laut zu Boden trommelten.

Den einen Mundwinkel fast bis zum Ohr ziehend hetzten meine Augen kurz zur Theke hinüber. Den Kopf zwischen die Schultern gezogen sortierte ich vorsichtig die zum Glück noch heilen Fläschchen zurück. Noch immer waren die Damen nicht in Sicht.

Alle Sinne elektrisch vor Anspannung wendete ich mich dem Reifenstapel zu. Ich untersuchte ihn ausgiebig wie etwas noch nie da gewesenes. Leise quietschend strich ich über das schwarze Gummi eines Reifens, der etwas aus der Symmetrie des Stapels gezogen war, zog mit den Fingerspitzen die Profile nach, maß dessen Tiefe und nickte dazu.

„Sind das Winterreifen?“, flutschte mir die Frage heraus, die ich schon bereute, als ich das letzte Wort noch im Munde schmeckte.

„Wieso? Brauchen Sie welche ?“, entgegnete der Tankwart spitz und wies dabei gehässig mit dem Kopf zum Sommerwetter hinaus.

„Nein, nein“, sagte ich wieder und merkte, wie meine Peinlichkeitsgrenze jetzt deutlich überschritten war. Vielleicht hatte ich die alten Damen ja auch übersehen, und sei es drum. So oder so: Ich musste hier jetzt ´raus.

Schnell griff ich mir einen beliebigen Schokoladenriegel, legte dem Tankwart eine Mark in die Hände, in dessen Linien noch alte Schmiere klebte. Sein Abschiedswort reimte sich auf seine Begrüßungsformel und draußen war ich. Kaum einen Schritt aus der Tür sog ich die Luft ein wie ein Perlentaucher nach getaner Arbeit, und blies sie mit gespitzten Lippen zurück in den warmen Wind.

Als ich ängstlich in den Bürgersteig einbiegen wollte, bewahrheitete sich, was ich befürchtet hatte, wie eine Prophezeiung. Nur wenige Meter entfernt spazierten die alten Damen auf mich zu. Pfeilschnell wandelte ich mich in meine ihnen bekannte Haltung zurück Als sie mich sahen, verloren sie ihr Gespräch und ich schickte ein bemühtes Lächeln in ihre staunenden Gesichter.

Mit drehenden Knien und vertikalem Hüftsprung, mit pendelndem Oberkörper und schießendem Kopf ging ich immerhin leicht ausgeruht wieder ins Rennen. Erneut stürzte ich in ein enormes Tempo, um meinen Vorsprung  zurückzugewinnen. Mit den gewonnenen Metern gewann ich auch vertrauten Symptome zurück. Sie piesackten mich in neu sortierter Reihenfolge. Die Nackenklammer leitete zudem einen  Kopfschmerz ein, der sich durch die Pendelei stetig hoch schüttelte. Trotzdem: Aufgeben wollte ich nicht. Ich hörte vielmehr einen Satz in mir hämmern, der als Teil einer mehr oder weniger geglückten Erziehung gut bei mir hängen geblieben war: Die Suppe, die man sich einbrockt, isst man auch auf – und ich hatte mir ordentlich aufgefüllt.

Mit großer Willensstärke brachte ich Meter um Meter zwischen meine Verfolger und mich. Inzwischen dachte ich an nichts weiter mehr als an mein Leiden. Meine Anstrengung trieb mir den Schweiß aus jeder Pore. Ich ächzte und stöhnte. Die Sonne brannte gnadenlos und unerträglich heiß. Beständig wehte ein regelmäßiger Wind von der Seite und ich befürchtete, dass ich mich nun zu allem Überfluss auch noch erkälten müsse, schweißnass wie ich war.

Nach einigen hundert Metern beschloss ich aus taktischen Gründen die Straßenseite zu wechseln. Kaum war ich auf die Straße getreten, bemerkte ich: Die alten Damen waren schon drüben. Ein erschreckendes Kichern entfuhr meiner Kehle und da – noch einmal. Zurück konnte ich nicht. Aber ich hatte einige Meter gut gemacht, beruhigte ich meine Resignation, die meinen Schritt zu lähmen drohte. Zum Glück war auch mein Fluchen für sie  aus dieser Entfernung nicht mehr hören.

Wenn es nur nicht so warm sein wollte. Und dieser Wind.

Endlos dehnte sich die Zeit und die Welt erschien mir immer traumhafter. Alles, was ich noch sah, war der grotesk hüpfende Schatten vor mir – auf und ab – auf und ab.

Nach einer langen Weile senkte sich ein hoffnungsvolles Bild in meine pendelnde Wahrnehmung. Fünfzig Meter vor mir drehte sich ein aufrecht stehendes Schild im Wind. Rot und blau warf sich mir die Botschaft des Schildes entgegen: Cafe´- und auf der anderen Seite: Geöffnet – fröhlich drehend im Wind. Die Rettung, die Insel eines Schiffbrüchigen, der Bernhardiner des Lawinenopfers, das Lokal für den Blödmann - und gar nicht mehr weit.

Ich hatte hier bisher noch nie ein Cafe´ wahrgenommen. Entweder es ist neu eröffnet worden oder ich hatte es immer übersehen. Aber das war nun wirklich nicht wichtig. Hauptsache es gab dieses Lokal.

Mit aufgetankter Hoffnung, schaltete ich noch in den nächsten Gang und schon schälte sich eine kleine Bäckerei aus der endlosen Häuserfront der Straße.  Ich beeilte mich die zwei Stufen  vor der Eingangstür zu erklimmen. Die Tür war wirklich offen.

Vor mir leuchtete ein Glastresen mit buntem Gebäck. Frischer Kaffee duftete im Raum und  kroch hinter meine Stirn. Fast stiegen mir Tränen in die Augen.

Eine Verkäuferin war nirgends zu sehen. Nach rechts öffnete sich der Verkaufsraum durch einen Torbogen hindurch in eine kleine Gaststube. Ich ging hinein und setzte mich an einen Tisch mit Fenster zur Straße hinaus. Weiße Gardinen umrankten das Fenster. Die Fensterbank schmückten Blühpflanzen, die aus goldumrandeten Übertöpfen wuchsen. An den Wänden wiederholten sich unzählig die roten Blüten auf einer Blümchentapete und in dem noch schattigen Raum verteilten sich in strenger Ordnung vier Tische.

Eine junge Frau mit weißer Schürze unterbrach meine Beobachtungen und fragte mich, was sie mir bringen könne.

„Eine Kanne Kaffee und zwei Apfelschnitten, bitte.“   

„Gerne.“

Jetzt mussten die alten Damen jederzeit hier vorbeikommen.

Noch einmal blickte ich mich im Raum um. Die Blümchentapete, der mehrarmige Deckenleuchter, die Rüschentischdecke – ein Raum geschaffen für die älteren Jahrgänge.

Wenn die beiden jetzt... . Ich wagte den Gedanken gar nicht in meinem dröhnenden Kopf zu bewegen.

Und da kamen sie. Durch die Gardinen hindurch sah ich sie sich nähern. Genau vor der Bäckerei hielten sie an. Mir stockte der Atem. Die Grauhaarige zeigte auf das Lokal, so dass ich mich unwillkürlich in meinen Sitz drückte. Schwindel ergriff mich.

Bitte tut mir das nicht an. Ich habe es doch nur gut gemeint.

Die Rothaarige schien unschlüssig und schaukelte sachte den Kopf. Wieder redete die Grauhaarige auf sie ein. Ihr Kopf nickte zu jedem Wort.

Oh, Himmel, das kann doch nicht wahr sein, dachte ich; und innerlich zur Rothaarigen:

Lass Dich nicht unterkriegen.

Und wirklich, als hätte sie es gehört fuhr ein kleiner Ruck durch die Rothaarige. Sie schaute auf ihr Handgelenk und wies zum Himmel.

Inzwischen war ich wohl die zweite Minute ohne Atem. Gebannt verfolgte ich das Schauspiel.

Die Grauhaarige machte ein Naja-Gesicht, legte aber noch ein weiteres Argument ins Feld. Schließlich schüttelte die Frau mit der Armbanduhr entschieden den Kopf. Nein. Es wird ihr zu spät.

Nicht ganz froh wandte sich die zweite daraufhin zum Weitergehen um und beide verließen die Bühne.

Wie ein Blasebalg rang ich nach Luft, und mir wurde ganz komisch zumute. Irgendetwas war mit der Schwerkraft geschehen. Ich fühlte mich in den Sessel gesaugt wie in einen Abfluss. Gleichzeitig schien er mit mir abzuheben und durch den Raum  zu trudeln.

In diesem Moment raschelte eine weiße Erscheinung in den Raum. Sie stellte einen Teller mit Kuchen und eine Kanne Kaffee irgendwo dort unten auf diesen Tisch. Plötzlich erschien vor mir nur noch ein riesiges Gesicht, das ein „Bitte Schön“ an mich richtete. Um uns herum drehte sich die Blumentapete und ich sah, wie sich die Augen in dem Gesicht weiteten.

„Ist Ihnen nicht gut. Sie sind ja kalkweiß.“

 „Wenn Sie vielleicht eine Kopfschmerztablette hätten,“ presste ich heraus

„Ja, warten Sie einen Augenblick, ich müsste noch ein paar ´rumliegen haben.“

Sie stieg aus dem Karussell heraus und eilte davon. Glücklicherweise ging auch meine Fahrt langsam zu Ende. Die Welt hielt an. Bitte neu zusteigen – Danke, ich hab´ genug.

In Lippen und Wangen kribbelnd kehrte das Blut wieder in meinen Kopf zurück. Ich glaube, er wäre mir durch den Druck geplatzt, wenn er nicht deutlich spürbar durch die Außen angesetzten Schraubzwingen zusammengehalten würde.

Die Serviererin raschelte wieder heran. Sie stellte ein Glas Wasser vor mich hin, in dem sich zischend und sprudelnd eine weiße Tablette löste.

„Oh, vielen Dank. Sie retten mir mein Leben.“

In ihr noch immer erschrecktes Gesicht wandelte sich ein Lächeln, und ein lustiges Grübchen drückte sich in ihre rechte Wange. Ich nahm sie zum ersten Male überhaupt erst richtig wahr, bemerkte ihre hellblauen Augen, in denen sich lebhaft braune Sprenkel um die Pupille scharten. Ihr Lächeln legte den Schnitt ihrer Augen in unterschiedliche Kurven und blieb auch dann noch in ihnen stehen als ihre Lippen sich wieder schlossen und der gekräuselte Nasenrücken sich glättete.

Ein Geruch von Vanille und Orange entströmte ihren mittelblonden Haaren, die in ungebändigten Strähnen bis auf ihre Schultern fielen.

„ Nah, sie sehen auch jetzt schon wieder etwas besser aus“, erwiderte sie.

In diesen Moment hinein öffnete sich die Tür und neue Kundschaft trat in die Bäckerei.

Ihre Augen sendeten mir ein kleines „Auf Wiedersehen“, dass in mir noch heute blüht , und überließ mich damit meinem jetzt besänftigten Gemüt und dem ersehnten Kaffee.

Mit einem gezogenem Mundwinkel schaute ich über meine gerade erlebte Stunde. In was war ich da nur wieder hineingeraten.

Die geplante Lektion für die alten Damen war deutlich zurück an den Absender gegangen.

Als ich so in mich hinein horchte, mein noch immer schmerzendes Hüftgelenk streifte, zum strapazierten Knie wanderte und an der verkrampften Wade halt machte, wurde mir auf ganz plastische Weise klar, was mir sonst abstrakt blieb: Sogar ich würde alt werden, wenn nicht irgendeine weitere Spontaneität dazwischen käme. Meine Gesundheit wurde mir plötzlich als großes Geschenk bewusst, und ich fasste den Entschluss, gut damit umzugehen.

Ich blieb noch lange in dem Lokal sitzen. Wohlig begann die Kopfschmerztablette zu wirken.

Bevor ich dann aufbrach, faltete ich noch aus Zweien der roten Papierservietten, die auf den Tischen verteilt waren, eine Rose. Die chinesische Falttechnik hatte mir mal ein Freund gezeigt. Ich legte die Rose auf einen Bierdeckel, auf den ich mein Dankeschön schrieb und trug es zusammen mit Teller und Tasse zum Tresen, um zu zahlen.

Als sie die Rose sah, wuchs in ihrem Gesicht eine ehrliche kleine Freude. Das war schön.

Was dann noch kam, war eigentlich klar. Als ich den Laden verließ, lief ich natürlich genau meinen beiden Damen vor die Füße. Ich konnte gar nicht anders als laut zu lachen. Ich hob die Arme, drehte mich und rief: „Ein Wunder! Ein Wunder!“. Dann beeilte ich mich schneller als ihre Sprachlosigkeit davon zu sein.

Es war ein herrlicher Sommertag und selbst als die Sonne schon untergegangen war, wurde ich noch an dessen Wärme erinnert, als ich kopfschüttelnd meine schokoladenverklebte Tasche  säuberte.

 

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