Freitag,
der 13.
Ich bin kein
abergläubischer Mensch. Es hat seine guten Gründe, dass
ich im Bett bleibe, wenn der 13. auf einen Freitag
fällt. Mit Aberglauben hat das nichts zu tun. Es sind
Erfahrungswerte:
Der Wandel meiner
Lebenseinstellung begann, wie man sich denken kann, an
einem dieser Freitage, an dem ich noch wagte, mein Bett
zu verlassen und noch nicht die Sensibilität besaß, auf
Warnungen zu achten.
Mein Wecker klingelte,
und ich kletterte unbeschwert aus meinem Bett heraus -
unbeschwert, weil meine Decke zu Boden gerutscht war.
Sogleich wurde mir klar, warum mir geträumt hatte, ich
würde frieren. Ganz einfach, weil ich fror - und die
Decke, die eigentlich mich hätte wärmen sollte, wärmte
nun irgendwelche Gegenstände auf meinem Fußboden.
Abends stelle ich mir
immer in mehr oder weniger weiser Voraussicht ein Glas
Saft an das Bett um vermeintlich auftretenden Durst
sofort und mit wenig Aufwand stillen zu können.
Ich muss einräumen, dass
ich eher zu der Gattung fauler Mensch gehöre und auch
wenn es natürlich nicht meine Haupteigenschaft ist, wird
sie doch, wenn ich erst im Bett liege, von keiner
anderen mehr übertroffen. So ist dieses Glas also
Symbol meiner immensen Kreativität, die aus meiner
Faulheit und langjährigen Erfahrung geboren wurde. Nur
zu gut erinnerte ich noch die Qualen des nächtlichen
Dürstens – zu müde zum Aufstehen und zu durstig um
entspannt liegen bleiben zu können. Eine Qual ohne
irgendeine Aussicht auf Erlösung.
Sei es drum, in dieser
Nacht hatte ich keinen Durst gehabt, und das Glas war
noch voll - sollte man meinen - aber nun lag ja die
Decke obendrauf.
Mit gewisser Spannung
lüftete ich sie - natürlich...!
Es hätte mich schon ein
wenig stutzig machen sollen, denn ein Tag, der so
beginnt, ist mit äußerster Vorsicht zu genießen. Nun bin
ich aber von Natur aus ein Optimist und hatte auch
sowieso weder Zeit noch Gehirn über Etwas nachzudenken,
was über mein nächstes Problem hinausging.
Wo in aller Welt können
Strümpfe sein, wenn sie nicht im Schrank sind? Ich war
von einer Frage dieser Dimension völlig überfordert.
Aber es nützte nichts, ich brauchte ein Ergebnis und
versuchte es mit System. Was für ein Tag war heute?
Nach meiner Zeitrechnung
war es genau ein Tag nach meinem Waschtag. Meine Woche
nach dem Waschtag einzurichten half mir, mich in dieser
Welt zu orientieren. Mag schon sein, dass es Leute gibt,
die es anders machen, aber jeder versucht auf seine Art
mit dem Leben klar zu kommen.
Normalerweise beunruhigt
mich der Tag vor dem Waschtag um einiges mehr als der
danach, aber nun hatte ich keine Strümpfe mehr. Die, die
im Keller hingen, waren natürlich noch nass, aber wie
ich aus Erfahrung wusste, trocknen sie recht schnell,
wenn man sie trägt.
Jetzt aber los! Der Blick
auf die Uhr zeigte mir, dass ich wieder ganz schön spät
dran war. Nebenbei erwähnt, bin ich jeden morgen spät
dran oder sagte ich das schon.
Rasch einen Blick an
meinem Körper herunter: Nichts vergessen- Hose an- alles
klar.
Auf ins Badezimmer zum
Zähneputzen, nur - wie machen ohne Zahnpasta? Kein
Problem! In einem gut geführten Haushalt hat man immer
eine Ersatztube im Hause und so konnte ich mir auch, als
die Zahnpasta das letzte Mal zu Ende ging, einfach eine
neue Tube holen. Naja und nun war eben diese Tube auch
alle – das kommt vor.
Egal, habe sowieso kaum
noch Zeit. Im Kopfe versuchte ich die Zahnpasta zum
Zucker hinzu zu addieren, der auch versiegt war.
Der typische Ablauf
meiner morgendlichen Routine ist übrigens, wie ich nicht
ganz ohne stolz anführen möchte, ein Meisterwerk der
Organisation.
Bevor ich nämlich das
Badezimmer betrete, fülle ich immer die Kaffeemaschine
mit den lebensnotwendigen Stoffen, so dass der Kaffee
gleichzeitig mit mir zusammen fertig wird. Dass ich
diesmal keinen Kaffee bekam, lag lediglich an einer
kleinen Sache: Ich hatte vergessen, den Stecker der
Maschine einzustecken. Eigentlich ballte sich doch hier
genügend Schicksal zusammen um in großer Weisheit das
einzig richtige zu tun und mich wieder ins Bett zu
legen. Anstelle dessen dachte ich nur, dass ich sowieso
Kaffee ungern ohne Zucker trinke und beschäftigte mich
mit dem Schmieren meines Marmeladenbrotes. Dies tat ich
wie üblich mit großer Hingabe. Ich bin ein Meister in
der Kunst ein Marmeladenbrot zu schmieren und werde
irgendwann ein Buch darüber schreiben. Mir lief das
Wasser im Mund zusammen als ich das leuchtende Rot der
Beeren in der mild glänzenden Marmelade sah und vergaß
für zwei Momente mein Zeitproblem. Als mein Bewusstsein
wieder in der Lage war, etwas außerhalb dieser Rot
wahrzunehmen, erspähte es auf der anderen Seite des
Tisches, was mein Marmeladenglück noch abrunden konnte.
Dort stand noch die Milch vom Vortag. Meine Unordnung
hat durchaus auch viele praktische Seiten. Ich brauchte
mich nur geringfügig über den Tisch zu recken und schon
würde mein Genuss durch ein Glas Milch perfekt und dass
neben der Milch ein Glas bereit stand, versteht sich ja
von selbst. Wirklich, gibt es Dinge, die einfach nur
perfekt sind. Saure Milch allerdings zählt nicht dazu
und überhaupt lief etwas plötzlich ganz schief.
Ich konnte mich noch
genau erinnern, dass mein Marmeladenbrot, das
leuchtende, soeben noch vor mir auf dem Tisch gelegen
hatte. Mein Blick, geschult durch jahrelange
Erfahrungswerte, wanderte sofort auf den Fußboden.
Verwirrt stellte ich fest, dass es auch dort nicht war.
Doch auf dem Tisch - nein, übersehen hatte ich es nicht
- auf dem Boden - auch nicht. In meinem Gehirn kam es zu
einer intergalaktischen Supernova und ich bin sicher,
meinem Gesichtsausdruck hat dies nicht geschmeichelt. Es
gab nur eines: den Standort wechseln, dies hatte mir
schon oft geholfen, ist sogar meine geheime Weisheit.
Also stieg ich auf den Stuhl. Von oben sieht die Küche
wahrlich ganz anders aus, aber - wo war denn nur mein
Brot??? Am Gipfel meiner Verwirrung angekommen, wollte
ich meinen Blickwinkel nochmals verändern, und das
führte endlich zum Erfolg - er folgte sozusagen auf dem
Fuße. Ich wusste gleich, ich hatte mein Brot gefunden,
als ich plötzlich so flauschig weich auf meinem
Küchenboden stand, der, wie tausend andere
Küchenfußböden, nur gefliest war. Guten Mutes schaute
ich herunter, guten Mutes, weil ich schließlich genau
wusste, wenn ich ein Marmeladenbrot auf die Erde warf,
so kam es immer mit der Marmeladenseite nach unten zu
liegen. Diese Regel wurde durch die heutige Ausnahme nur
bestätigt.
Nun, manchmal hat man
eben Pech, aber eigentlich nahm ich dies nur am Rande
wahr, zu sehr beschäftigte mich derweilen die Frage, wie
nun das Brot hat auf dem Boden liegen konnte, den ich
vorher so sorgfältig inspiziert hatte. Nachdem ich
meinen Fuß unter dem Wasserhahn oberflächlich gesäubert
hatte – was im Prinzip nicht viel veränderte, weil die
Strümpfe ja sowieso noch nass waren - setzte ich mich
mit meiner Frage in einer mir typischen Denkerpose an
den Tisch. Diese Haltung hatte, was wiederum nicht
unbedingt typisch war, einen unmittelbaren Erfolg. Mit
beiden Händen meinen Kopf stützend, lag das Ergebnis
nach Abschluss meiner Konzentration klar vor mir. Dort,
wo eben noch mein linker Ellenbogen gestanden hatte, war
es nun so rot wie Erdbeermarmelade.
Ich verglich mit gewisser
Gewissheit meine beiden Ellenbogen, die den erwarteten
Unterschied zeigten. Ganz klar, dass man Marmeladenbrote
nicht finden kann, die einem am Ellenbogen kleben.
Wer redet denn da? Ach
so, das Radio. Nachrichten!?!
Himmel, ich muss los!
Es blieb weder Zeit, das
Hemd zu wechseln, noch zu Essen, aber ich konnte ja noch
immer mein Pausenbrot im Betrieb zu mir nehmen, auf
welches ich mir noch schnell zwei Scheiben Wurst
klatschte.
Ich war wild
entschlossen, es nicht zu vergessen, und als ich dann
die Haustür hinter mir zugezogen hatte, stellte ich mit
großer Erleichterung fest, dass ich die Aktentasche mit
meinem Brot wirklich in meiner Hand trug. Das einzige,
was ich vergessen hatte, war, das Radio auszuschalten,
was mich eher beruhigte, denn irgend Etwas vergaß ich
schließlich immer und ich war heilfroh, dass es nur das
Radio war.
Damit übrigens verpasste
ich die letzte Chance, mich noch zu besinnen und zurück
ins Bett zu wandern. Anstelle dessen dachte ich soviel
wie: Naja, was könnte nun noch groß schief gehen.
Das Auto - geklaut? Nein,
dort stand es wie immer.
Was nicht wie immer war,
sondern nur wie manchmal, war das fehlende Geräusch beim
Drehen des Zündschlüssels.
Ich mochte es nicht
glauben und wiederholte den Vorgang, wobei ich eine
Reihe von beschwörenden, auch motivierenden, schließlich
fast einschüchternden Worten auf das Lenkrad warf. Es
beeindruckte mein Auto wenig, es hatte schon zu viel
erlebt.
Ich tat das, was es zu
tun gab: Ich öffnete meine Motorhaube und schaute und
schaute. Rüttelte mal hier und drückte mal dort und
erkannte schließlich, dass das Problem wirklich irgendwo
in dem Gewirr von Schrauben und Vergasern stecken
musste.
Himmel, jetzt aber
schnell zum Schuppen, das Fahrrad satteln. Ein Fahrrad
ist ein wundervolles Fahrzeug. Schließlich springt es
immer an - im Sommer wie im Winter - immer. Nach drei
Metern rasender Fahrt zeigte sich allerdings einer der
ganz typischen Nachteile des Fahrrades.
Das Aufpumpen dauerte
weit weniger lang als das Suchen der Pumpe.
Die Befürchtung,
möglicherweise ein Loch im Schlauch haben zu können,
bewahrheitete sich zum Glück nicht. Dafür war mein
Ventil undicht, was natürlich aufs Gleiche herauskam.
Wenn ich zu Fuß gehe,
werden meine Strümpfe sicher schneller trocken, mühte
ich mich noch ein bisschen Sinn gegen die aufkommende
Verzweiflung zu stellen.
Meine Arbeitsstelle
erreichte ich, oh Wunder, ohne nennenswerte
Zwischenfälle, insofern es nicht nennenswert ist, nach
halber Wegstrecke zu bemerken, wie unbeschwert ich mich
beim Laufen fühlte. Ich hatte meine Aktentasche im Auto
vergessen.
Mit schließlich
eineinhalb Stunden Verspätung kam ich also in meiner
Firma an. Trotz meines überaus geschickten und oft
erprobten Schleichmanövers entdeckte mich mein Chef
sofort. Wahrheitsgemäß erzählte ich ihm den Grund meines
diesmaligen Zuspätkommens, wobei mir auffiel, dass mein
Chef wohl heute wenig Sinn für Einzelheiten hatte - und
der Rest deckte sich erstaunlicherweise mit meinen
sonstigen Entschuldigungen.
„Diesmal...“, beendete
ich meine Auskunft,... stimmt es wirklich, hatte ich
sagen wollen, doch fiel mir früh genug auf, wie
ungeschickt dies gewesen wäre.
Wider Erwarten fing mein
Chef daraufhin an zu lächeln. Erstaunt, erleichtert und
erfreut über seine freundliche Gesinnung, grinste auch
ich ihn an. Und genau an diesem Punkt zeigte sich mir
wieder der deutliche Unterschied zwischen mir und meinem
Chef.
Ich könnte nicht mitten
aus einem Lächeln heraus brüllen, was mir einfiele,
derart schamlos zu grinsen.
Er konnte es!
Als er schließlich davon
wütete, hinterließ er mich relativ resigniert. Das
Grinsen, das mir vergangen war, fand sich nun auf den
Gesichtern meiner Kollegen wieder und begleitete mich in
meinen Arbeitstag.
In dem Maße, in dem meine
Resignation im Laufe des Vormittags abnahm, nahm der
Hunger zu. Das resignierte mich wieder ein bisschen.
Dieses Gefühl fand seinen erneuten Höhepunkt in der
Mittagspause. Mit kaum zu verbergendem Neid schaute ich
zu, wie meine Kollegen in ihre Pausenbrote bissen.
Pausenbrote, wohin ich auch blickte - und schloss ich in
meiner Not die Augen, so sah ich sie auch dort -
Pausenbrote, in die mit Genuss gebissen wurde.
Ich kam nicht drum herum,
auch ich musste etwas essen. Die Bäckerei in der Nähe
war gerade so weit entfernt, es innerhalb der Pause zu
schaffen, mir noch Brot zu besorgen.
Dort angekommen, war ich
ganz erstaunt festzustellen, wie viele Leute es doch
gibt, die Ihre Brote zuhause vergessen. Die Schlange
reichte bis aus dem Eingang der kleinen Bäckerei heraus.
Diese Tatsache wurde mir umso mehr bewusst, als sich
gerade ein Platzregen auf die Erde ergoss. Das Leben
spielte einem schon seltsame Streiche. Kaum waren die
Strümpfe trocken, da wurde alles Übrige nass.
Anscheinend waren die
Mittagspausen meiner Leidensgenossen alle erheblich
länger als meine eigene. Der Sekundenzeiger meiner Uhr
rannte unerbittlich. Nur noch drei Kunden vor mir. Es
wäre noch knapp zu schaffen. Noch zwei. Jetzt würden
sich meine Kollegen gleich wieder erheben, vielleicht
wenn ich schnell genug laufen würde...
Nun der letzte, aber was
macht er da? Er zückt einen Zettel, der nicht unter
zwanzig Zentimeter lang ist und beginnt eine Bestellung,
die die gesammelten vergessenen Brote eines
Großbetriebes aufzuzählen vermochte. Auf die Frage, ob
ich nicht mal kurz vor ihm..., bekam ich eine
Entgegnung, die mich wieder sehr an meinen Chef
erinnerte - und dies machte mir Beine. Ich hetzte los -
im Wettlauf mit der Zeit. Ich verlor.
Vielleicht merkt er es ja
gar nicht- sicher hat er Verständnis... In meine
hoffnungsvollen Gedanken vertieft, wäre ich fast gegen
ihn geprallt.
Ich spürte, wie sich
Schweißperlen zwischen die Tropfen meiner regennassen
Stirn quetschten. Wir schauten uns Ewigkeiten lang in
unsere Augen, wobei mich nur ein Gedanke beherrschte:
Nur nicht Grinsen - alles- nur nicht grinsen. Es war
zwecklos. Meine Mundwinkel schoben sich unaufhaltsam
nach Außen. Dann lernte ich etwas über die Entstehung
dieser Welt. Was nun folgte, war in etwa so, wie man
sich den Urknall vorstellen kann. Mir flatterte das
Trommelfell. Das Gesicht meines Chefs war schon so rot,
wie mein Marmeladenbrot, zu dem Zeitpunkt als die Welt
noch in Ordnung war. Himmel, dachte ich, sein Blutdruck,
hielt mich aber mit meinen wohlmeinenden Ratschlägen
zurück, da ich damit schon ausgesprochen schlechte
Erfahrungen gemacht hatte.
Nun wurde es wieder
richtig deutlich. In dieser Firma werden die Mitarbeiter
einfach nicht gleich behandelt. Alle durften grinsen -
ich nicht. Naja, mir war ja auch nicht mehr danach
zumute, nur meine Gesichtsmuskeln begriffen es einfach
nicht. Es war so etwas wie eine anatomische Irritation.
Schließlich aber hatte
auch diese Situation, obwohl ich es fast nicht mehr für
möglich hielt, ein Ende. Eine eigentümliche Stille
senkte sich über das Geschehen. Diese Chance nutzte mein
Magen und knurrte den Meister wütend an. Wirklich zog er
daraufhin ab.
Vor meinem inneren Auge
wanderten noch einmal die Stationen des heutigen Tages
an mir vorbei und ich konnte gar nicht glauben, wie ich
bloß so unintuitiv hab sein können und nicht im Bett
geblieben bin. Da es aber nun eben so war, bot ich
meinem Schicksal die Stirn und fixierte mein Ziel fest
im Geiste: den Feierabend.
Die Uhr, die anfangs
derart gnadenlos zu mir war, bereute nun ihr böses Spiel
und bescherte mir all die Zeit im Überfluss, die mir
vorher so sehr gefehlt hatte. Der Tag quälte sich dahin
und das Ticken jeder Sekunde fand in meinem leeren Bauch
ihr Echo. Und dann war er da.
Geschafft!
Auf meinem Marsch zurück,
beschäftigte mich der Gedanke, was nun noch groß schief
gehen könnte. Mir fiel eigentlich nichts ein. Das im
Auto auf mich wartende Pausenbrot stand mir im Gemüt und
nahm mir jegliche weitere Befürchtung.
Am Ziel angelangt sah ich
mit größter Freude meine Aktentasche auf dem
Beifahrersitz meines Autos stehen. Etwas, was mich
weniger freute, lag direkt daneben - mein Autoschlüssel.
Eigentlich war dies gar nicht das Schlimme. Schließlich
hatte ich einen Ersatzschlüssel im Hause und dort ja
sowieso noch viel mehr zu essen. Das eigentlich Schlimme
war: Mein Haustürschlüssel hing am gleichen Bund mit dem
Autoschlüssel.
Glücklicherweise ist ja
in der heutigen Zeit jedermann ein perfekter
Autoknacker. Auch ich hatte schon genug fernsehen
geguckt. Ich machte mich also guten Mutes an die Arbeit.
Das erste, was es zu tun
galt, war, wie ich mich erinnerte, das unauffällige
Umkreisen des Autos. Das gelang auch soweit ganz gut.
Der nächste Schritt war schon komplizierter. Wie um
alles in der Welt kommt man in dieses blöde Auto ´rein?
Einfach die Scheibe
einzuschlagen war nun doch reichlich plump aber ein
bisschen darauf herumhämmern war besser als gar nichts.
Dies allerdings führte nicht zum gewünschten Erfolg.
Dafür aber zu einem unerwünschten, weil nun ein
hilfsbereiter Nachbar durch meine Tätigkeit angelockt
wurde.
„Nah, haben wohl den
Schlüssel im Auto steckenlassen“, bemerkte er und fand
genau den Tonfall, den ich nun wirklich brauchen konnte.
Anstelle einer Antwort
versuchte ich es mit einem Blick, den ich meinem Chef
abgeguckt habe.
Wäre ihm ja auch schon
passiert, versuchte er zu versöhnen und das hätten wir
gleich.
Nach einer weiteren
Viertelstunde, in der er wirklich alles tat, vom Auto
umkreisen bis zum hämmern, kam der zweite hilfsbereite
Nachbar - unglaublicher Weise mit genau den gleichen
Worten.
Es entstand eine
bemerkenswerte Fachdiskussion zweier Männer, die
anscheinend jeden Morgen vor dem Frühstück zwei, drei
Autos knackten. Das einzige, was ich zur Debatte
beisteuerte, war mein Magenknurren, welches allerdings
unbeachtet blieb. So geriet ich langsam in
Vergessenheit.
Aufsehen erregte ich erst
wieder, als ich das Seitenfenster des Wagens mit einem
Hammer einschlug. Verachtende Blicke trafen mich, die
ich nicht im Geringsten zur Kenntnis zu nehmen gedachte.
Unbeirrt kämpfte ich mich zu meinem Brot vor. Nur wenige
Augenblicke später kaute ich schon auf beiden Backen und
schaute meine Retter höflich an, wobei ich das Brot zum
dankenden Gruß in die Höhe hielt. Die mich überraschende
Verachtung der mir geltenden Blicke erreichte eine
Intensität, die mir die Kehle zuzuschnüren drohte, was
gerade beim Essen besonders hinderlich war. Zum Glück
trotteten die beiden dann bald mit geknicktem
Autoknackerstolz von dannen.
In meiner Wohnung steckte
ich dann endlich die Kaffeemaschine in die Steckdose.
Das rasch sichtbare Ergebnis machte Mut. Endlich Kaffee!
Die erste Tasse schüttete
ich in den Ausguss, da die Milch, die ich hineintat, ja
sauer war und die zweite führte mir die Tatsache ins
Bewusstsein, wie grässlich bitter Kaffee ohne Zucker und
Milch schmeckt. Viel Zeit mich deswegen zu grämen blieb
mir nicht, da, kaum eingeschenkt, das Telefon klingelte.
Sofort ergriff mich ein höchst ungutes Gefühl. An einem
Tag wie heute fehlte ja nur noch eines: die schlechte
Nachricht.
Ich rang mit mir einfach
nicht abzunehmen und verlor.
„Hallo“ -
„Ob ich wer bin?“ -
„Nein; bin ich nicht“ -
„Macht ja nichts“
Noch mal gut gegangen!
Kaum saß ich wieder hinter meinem bitteren Gebräu, als
es abermals klingelte.
„Hallo“, inzwischen
schon viel weniger zaghaft.
„Nein“
„Ja, wieder ich“
„Bitte!“
Wieder zurück an meinen
Küchentisch, klingelte es erneut. Das kann ja wohl nicht
wahr sein.
„Hallo“
„Nein , ich hab´ nichts“
„Ich wollte ja gar
nicht, dass...“
Es war mein Sonja und
ich hätte sie wirklich nicht gleich so anschreien
brauchen. Aber Sonja wäre nicht Sonja, wenn sie nicht
schnell darüber hinweg gekommen wäre. Sie war nicht
weiter nachtragend und erzählte mir munter von ihren
Erlebnissen des heutigen Tages. Kaum zu glauben, wie
unterschiedlich die Menschen doch erleben konnten. Und
wie viel mehr sie doch erlebt hatte, dachte ich noch,
als meine Konzentration langsam schwand. Ich setzte
meine „Mmm´s“ und „ja´s“ nur noch rein instinktiv.
Schließlich kam ihr
Thema auf die Astrologie, die ihr Steckenpferd war, und
wie denn mein Tag eigentlich gewesen wäre.
Och, wie immer.
Dies würde sie
erstaunen, denn nach ihren Berechnungen würde mein Tag
unter einem Glücksstern gestanden haben.
Morgen würde ich ihr
einfach erzählen, dass mir das Telefon aus der Hand
gefallen war und die Verbindung daraufhin nicht mehr
zustande kommen konnte oder dass es einfach explodiert
sei...
Eigentlich gar nicht
nett von mir. Sie konnte nun wirklich nichts dafür.
Vielleicht hatte sie ja auch Recht und mein Tag würde
sich doch noch ins Glück wenden, ging mir gerade durch
den Kopf, als ich hörte wie mein Telefon wirklich auf
den Boden schepperte. Ich war mit meinem Fuß am Kabel
hängen geblieben. Dass es obendrein aus der Dose riss,
würde meine Ausrede fundieren, und ich musste somit fast
nicht lügen, was den Abriss der Verbindung anging. Aber
war das schon Glück?
Noch widerlicher als
heißer Kaffee ohne Milch und Zucker, schmeckt nur noch
kalter Kaffee ohne Milch und Zucker - mich hielt nichts
mehr unter den Wachen. Ich beschloss ins Bett zu gehen.
Mein Fuß war in nichts verwickelt, mir stand nichts im
Wege, draußen war es inzwischen dunkel - ins Bett zu
gehen war eine wirklich begründete Entscheidung und auf
dem Weg dahin lief alles soweit glatt.
Mein Glückstag?? Erst im
Bett selbst spürte ich so ein leicht wohliges Gefühl und
eine gewisse Sicherheit, nun nichts mehr falsch machen
zu können. Einmal ging ich noch die innere Checkliste
durch - kein angelassener Wasserhahn, keine glühende
Kochplatte- was könnte noch... Himmel, der Wecker!
Dummerweise stand er aus
aufstehpsychologischen Gründen an der gegenüberliegenden
Zimmerwand im Regal, das hieß doch noch einmal hoch und
doch noch einmal gegen den Stuhl laufen, der
seltsamerweise plötzlich mitten im Zimmer stand. Als ich
ihn, vielleicht etwas übermütig, auf seinen eigentlichen
Standort warf, gab es ein Scheppern, das fast schon
einem Klirren ähnlich kam. Ich beschloss, das Licht
einfach aus zu lassen und beruhigte mich damit, dass der
Stuhl sicher heil geblieben sein würde. Dank der
Leuchtziffern fand ich den Wecker im Dunkeln, und ich
stellte ihn im feierlichen Bewusstsein einer
allerletzten Tat. Es war vollbracht. Endlich konnte ich
mir meine lang ersehnte Ruhe gönnen. An die nasse Decke
gewöhnte ich mich schnell und irgendwann muss ich dann
eingeschlafen sein.
nach oben:
Freitag, der 13.
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